Zum Hauptinhalt springen

Zwischen Würfeln und Ewigkeit

Im Spiel geschieht etwas Uraltes: Der Mensch wagt, für eine Weile, die Welt neu zu erschaffen. Er entwirft kleine Universen aus Regeln, Zufällen und Träumen – und lernt darin das grosse Spiel des Lebens verstehen.

Wenn im Kapuzinerkloster Wesemlin Gross und Klein um einen Tisch sitzen, wird das Kloster zum Übungsfeld der Gemeinschaft, zum Ort, wo Ernst und Leichtigkeit sich die Hand reichen. Das Spiel ist mehr als Zeitvertreib; es ist ein Spiegel des Daseins. Wie im Leben gilt auch hier: Wer wagt, kann verlieren – und gerade darin liegt das Glück des Mitspielens.

Denn nur wer das Risiko annimmt, entdeckt Gemeinschaft.Ein Würfelwurf ist ein kleiner Akt des Vertrauens, eine Geste gegen die Berechenbarkeit des Alltags.

Inmitten alter Mauern, die seit Jahrhunderten Gebet tragen, klingt an diesen Nachmittagen ein anderes Gebet – das Gelächter. Es ist das Gebet der Unbeschwerten, die ohne Angst vor dem Scheitern dem Leben trauen.

Das Spiel, ob Domino oder Dungeons & Dragons, ist eine Übung in Hoffnung: Es lehrt, dass Zufall und Sinn sich nicht ausschliessen, sondern auf geheimnisvolle Weise miteinander tanzen.

Ich hörte mal, Philosophen nannten das Spiel einst den Ursprung der Kultur. Vielleicht, weil der Mensch erst im Spiel das Staunen wiederfindet, das ihn lebendig macht.

Kinder wissen das noch: dass Fantasie eine ernsthafte Form der Wahrheit ist. Erwachsene müssen es neu lernen – und das Kloster bietet dazu Raum. Wenn wir Kapuziner die Türen öffnen für solches Zusammensein, folgen wir unserer inneren Logik: Gastfreundschaft ist auch geistige Weite.

Das Spiel wird zur Liturgie der Begegnung, zur Feier der Schöpfung im Kleinen. Jede Karte, die fällt, erinnert uns daran, dass auch das Leben ein zerbrechliches, wunderschönes Arrangement aus Möglichkeiten ist.

Wer gemeinsam spielt, übt Frieden. Nicht den grossen, politischen Frieden, sondern jenen stillen Frieden, der entsteht, wenn Menschen einander verstehen, ohne zu sprechen. Ein Blick, ein Lächeln, ein ehrlicher Zug – und plötzlich ist Gemeinschaft da.

Vielleicht ist das der tiefste Sinn dieser Nachmittage: Dass wir für einen Moment erfahren, wie sich Himmel und Erde berühren, wenn Menschen Freude teilen. Denn dort, wo gespielt wird, hört das Müssen auf – und das Dürfen beginnt.
Und genau da, im Raum zwischen Würfeln und Ewigkeit, wohnt das Göttliche.

Mit diesem letzten Spielnachmittag des Jahres klingt eine kleine Reihe aus – und doch bleibt die Hoffnung lebendig. Denn im kommenden Jahr möchten wir drei weitere Nachmittage gestalten, an denen sich brettspielfreudige Menschen wieder begegnen können

- bruder george